Kill the Couple in Your Head

Ungrateful Hyenas Editions


Es folgen die Aufzeichnungen zu einem Vortrag, der 2020 in Berlin, Athen und Marseille gehalten wurde.

Wir wollen darüber sprechen, wie diejenigen, die den Staat angreifen, gleichzeitig mit ihrer Beteiligung an seinen Institutionen der Intimität, insbesondere des Paares, durch Gender, Familie und Sex, die Macht des Staates reproduzieren und verstärken.

Jede Abweichung von der Normalität, alles was die gegebene Ordnung der Dinge bedroht, wird befriedet und integriert. Subversive Strömungen werden schnell kanalisiert und von Bewegungen vereinnahmt, die Gleichheit oder Anerkennung durch Autoritäten fordern. Wir sehen sowohl Anarchist:innen als auch Queers in diesem Sinne aufeinander reagieren — Queers begegnen dem Kult der patriarchalen Militanten, die der Anarchismus so häufig verkörpert, indem sie Angriff ab- und „emotionale Arbeit“ und Identität aufwerten. Auf der anderen Seite antworten Anarchist:innen mit der Aufwertung normativer sozialer Beziehungen und der Abwertung des (feminisierten) Terrain des Emotionalen, Intimen, „Privaten“.

Wir schlagen einen umfassenden Ansatz vor, der diese nutzlose Sackgasse überwindet und zum Ziel hat, Autorität auf allen Ebenen — von der intimen zur strukturellen — anzugreifen. Das Festhalten an der Vorstellung, wie wir kontrolliert werden und wie wir uns gegenseitig kontrollieren seien voneinander getrennte Anliegen, dient ausschließlich den Interessen der Macht. Wir wollen uns mit diesen Phänomenen — Gender, Familie, Paar, Sex — als Formen oder Institutionen auseinandersetzen, die unser Verlangen und unsere Energien einfangen. Unser Verlangen nach Gemeinschaft und Verbindlichkeit wird von den Institutionen des Paares und der Familie absorbiert. Unsere erotischen Energien sind von der Institution Sex besetzt. Gender wird durch die Gewalt dieser Institutionen reproduziert. Wir wollen verstehen wie das Gefängnis funktioniert, damit wir daraus ausbrechen können, ohne neue subkulturelle moralische Standards für ein überlegenes anarchistisches Subjekt zu etablieren. Wir alle sind in den Fängen dieser Gesellschaftsformen gefangen und es geht nicht um die Frage des Purismus.

Wir beginnen mit dem Selbst, damit, wie wir uns selbst sehen und wie das mit unseren Freund:innen zusammenhängt. Innerhalb der Gesellschaft werden wir als vereinzelte Subjekte eines Netzwerks anderer vereinzelter Subjekte geformt. So gesehen sind wir Subjekte der Gesellschaft, die Beziehungen, Freundschaft, Anarchie praktizieren. Diese sind als Hobbys oder Zeitvertreib akzeptabel, aber nicht in der Lage, die Mauern um unser Selbstverständnis in Frage zu stellen, welches sich auf das Selbstverständnis eines vereinzelten Ichs unter vereinzelten Ichs beschränkt, die zusammen die herrschende Gesellschaft bilden. Uns wird vorgegaukelt, dass unsere unendlichen Wünsche und Möglichkeiten darauf reduziert werden können, unser einzigartiges Subjektsein zu formen und aufrechtzuerhalten, indem wir die Dekorationen an den Wänden der engen Särge verändern, in welche wir von Geburt an eingesperrt sind.

Dieses Selbstverständnis ist die Grundlage der rationalistischen Kosmologie, die die offizielle Religion des säkularen Staates ist. Rationalismus wird von einem Großteil der anarchistischen Tradition unkritisch übernommen und befürwortet. Dieses europäische Erbe spaltet die Welt in Dichotomien — Subjekt/Objekt, Geist/Körper, Zivilisation/Natur, Eigenes/Anderes — und erkennt nur das als real an, was in Laboratorien mit Instrumenten gemessen werden kann. Wir reden von Kosmologie (Weltanschauung), weil wir der Überzeugung sind, dass Herrschaft damit beginnt, wie wir uns und unseren Platz innerhalb des Universums denken. Diese totalisierende Kosmologie lässt die Existenz anderer Welten nicht zu und macht damit Kolonialismus, Völkermord, Sklaverei und die allgemeine Abstumpfung der Existenz sowohl erforderlich als auch möglich.

Das Erleben subversiver Kosmologien bedroht die Grundlagen dieser zivilisierten Ordnung. Dafür ist es nötig Wege zu finden, uns selbst und einander als Teil eines Netzes aus Beziehungen und potenzieller Komplizenschaft sehen zu können. Anstatt unser unveränderbares, vereinzeltes Selbst zur grundlegenden Wahrheit unserer Realität zu erklären, ist unsere Realität durch die ständige Veränderung gekennzeichnet, unsere Grenzen werden destabilisiert und unser „Selbst“ durch die Kompliz:innen, die wir in unser Netz aufnehmen, erweitert — eine Welt ohne Objekte. Wir wollen uns der Ökonomie entreißen, in der wir uns gegenseitig durch die Brille des Tauschwerts betrachten, in der das Paar und die Familie produktive Einheiten bilden, und angstfrei in eine lebendige Ökologie lebendiger Wesen eintauchen, die auf Gegenseitigkeit und Schenken basiert. Eine subversive Kosmologie ist eine Praktik, keine entfremdete Ideologie oder Glaubenssystem.

Wir sind nicht daran interessiert, individuelle Entscheidungen darüber zu kritisieren, wie man sich innerhalb der Gesellschaft bewegt, oder zu sagen, dass jemanden eine:n Gefährt:in zu nennen besser sei als jemanden als Partner:in zu bezeichnen, oder dass wir alle in einem großen Haus ohne Wände leben sollten oder irgendetwas in diese Richtung. Es langweilt uns, uns auf den moralischen Rahmen zu beschränken, in dem wir die Entscheidungen der anderen in Bezug auf Liebe und Sex beurteilen. Vielmehr geht es uns darum, die Institutionen, Formen und Auswirkungen zu verstehen, die unsere Welt strukturieren und dafür sorgen, dass wir unsere eigene Unterwerfung ständig neu erfinden, um sie dann zu zerstören. Eine gemeinsame Sprache darüber, wie das aussehen kann, ist nur insofern wertvoll, als sie eine tatsächliche Bereitschaft widerspiegelt, diese Formen zusammen mit unseren Freund:innen und Vorfahren (ancestors) anzugreifen. Eine Sprache, die darauf abzielt, Anerkennung oder Bedeutung innerhalb der Strukturen und Institutionen der Gesellschaft zu erlangen, stehen wir ebenfalls feindlich gegenüber.

Wir wollen die Strukturen aufgeben, die heutzutage intimes Leben bestimmen. Dabei geht es uns nicht darum eine neue Ideologie anzunehmen, sondern um eine anhaltende Spannung, eine Art zu leben, die mit diesen Institutionen und ihren unzähligen Arten sich uns aufzudrängen in Konflikt steht, ohne utopischen Endpunkt. Wir konzentrieren uns auf die psychische Dimension des Paares — darauf wie unsere Ängste und Unsicherheiten von der uns umgebenden Welt sowohl auf sozialer als auch intimer Ebene manipuliert werden, um uns dazu zu bringen in diesem Käfig Zuflucht zu suchen. Die psychische Dimension ist jedoch untrennbar mit der materiellen verbunden — unsere Ängste vor dem Verlassenwerden sind an die ständige Bedrohung durch realen Mangel, Armut und Gewalt geknüpft, die uns in erzwungene Abhängigkeitsbeziehungen treiben und uns daran hindern, diese zu verlassen. Gleichzeitig haben arme Menschen seit dem Aufkommen von Armut mit vielfältigen Formen materieller Verflechtung experimentiert, von Mehrgenerationenhaushalten zu Landbesetzungen und -aneignungen. Seit zwei Jahrzehnten haben Anarchist:innen Netzwerke von Solidarität und gegenseitiger Hilfe etabliert, um materiellem Mangel zu begegnen. In diese Netzwerke eingebettet zu sein, eröffnet mehr Möglichkeiten, unsere Leben und unsere Ressourcen über Paarbeziehungen hinaus zu teilen. Sie eröffnet mehr Orte, die wir aufsuchen können, wenn die Zweierbeziehung scheitert. Wenn wir das Paar aus unseren Leben verbannen wollen, müssen wir diese Arten zu leben pflegen und bewahren. Diese Netzwerke sind bedeutungsvoller und vielfältiger, wenn sie aus expansiver Affinität und Komplizenschaft anstelle von Hierarchien entstehen, wie die, die sich um das Paar anordnen oder aus Personenkulten entstehen. Der Kampf, sich von den Bindungen des Paares zu befreien, die unsere Vorstellungskraft einengen, geht Hand in Hand mit der Zerstörung der materiellen Strukturen, die uns in Leben einschließen, die nicht unsere eigenen sind. Wir verändern unsere Leben, um zu handeln, wir handeln, um unsere leben zu ändern.

Zunächst geht es um die Frage, warum wir Gender zerstören und nicht erweitern, aneignen oder bejahen wollen.

Angesichts der homogenisierenden Zwänge der Zivilisation, die uns alle in gegenderte Subjekte verflacht, ist Differenz unsere stärkste Waffe. Unter uns gibt es eine unendliche Vielfalt. Diese Vielfalt auf die Kategorien Mann/Frau, männlich/weiblich zu reduzieren, verlangt vom Moment unserer Geburt an ein großes Maß an Gewalt. Zu sagen, sexuelle Differenz sei eine objektive biologische Realität, ist eine der großen Lügen, auf denen der Albtraum in dem wir leben basiert. Wir wissen, dass jeder unserer Körper einzigartig ist, beispielsweise haben wir alle unterschiedliche Level an Östrogen und Testosteron. Um die große Lüge aufrecht zu erhalten, werden Babys ohne ihre Zustimmung operiert, ihre Körper werden verstümmelt, weil ihre bloße Existenz die Lüge enthüllt und deswegen ausgelöscht werden muss.

Aus diesem Grund ist die Behauptung, dass Menschen mit Vulvas Frauen und Menschen mit Penissen Männer seien eine Zuschreibung von oben, deren Aufrechterhaltung permanenter Gewalt bedarf.

Das bedeutet auch, dass wir unsere Körper disziplinieren, damit sie diesem binären System entsprechen, sodass Frauen sich selbst als sexuelle Objekte für Männer reproduzieren. Die Aufrechterhaltung der Kategorie „Mann“ bedarf ebenfalls konstanter Disziplinierung. Wer als Mann definiert wird, wird darauf getrimmt als Sozialpolizei zu agieren, die die patriarchale Ordnung durch Gewalt aufrechterhält. Sie vergewaltigen, töten, schlagen uns, um uns daran zu erinnern, dass wir Frauen sind und um sich selbst daran zu erinnern, dass sie Männer sind. Und in den seltenen Fällen, in denen sie für das, was sie uns antun ins Gefängnis wandern, sind es andere Vergewaltiger und Mörder, die die Schlüssel haben. Sie müssen uns in dieser Binarität von Mann/Frau festhalten, um die Institutionen, die diese koloniale Welt am Laufen halten — Arbeit, die Familie, das Paar — zu reproduzieren, damit wir weiterarbeiten und ihre Arbeitskraft reproduzieren, indem wir mehr Körper produzieren und disziplinieren, die sie ausbeuten und vergewaltigen können. Die andere große Lüge von Rasse als biologischer Realität ist grundlegend mit der Geschlechterlüge verknüpft — die historische Konstruktion rassifizierter und gegenderter Subjekte durch Sklaverei und Kolonialismus entwirft Körper in Binaritäten, um Kontrolle auszuüben.

Sie müssen uns auf ihre Kategorien reduzieren, weil sie uns verstehen müssen, um uns weiterhin kontrollieren zu können. Auch wenn wir neue Identitäten etablieren, werden diese in anderen Kategorien der Kontrolle neutralisiert und als neue Absatzmärkte vereinnahmt. Deshalb gibt es jetzt queere und trans Polizist:innen, Bosse und Vermieter:innen. Anerkennung von oben anzustreben ist eine Falle, trotzdem müssen wir uns gegenseitig in den unterschiedlichen Strategien und Werkzeugen unterstützen, die wir wählen, um diesen Albtraum zu überleben, sei es das ändern von Pronomen oder Körpern. Wir müssen uns voneinander wahrgenommen fühlen, um das für einen gemeinsamen Angriff notwendige Vertrauen aufzubauen. Indem wir unsere Gefährt:innen wirklich wahrnehmen, von ihnen wirklich gesehen werden, können wir eine Art von zwischenmenschlicher Freiheit kreieren, Brennstoff für unser gemeinsames Feuer.

Es gab immer die, die diesen Albtraum zurückgewiesen und es abgelehnt haben, innerhalb seiner Begrenzungen zu leben. Aktive Solidarität und Affinitätsbeziehungen zu antiautoritären, indigenen Kämpfen können uns Wege zu uns selbst lehren, die uns nicht von den Mächtigen auferlegt werden, genau wie die vielen Menschen, die sich selbst nicht entsprechend des Mann/Frau Gegensatzes aufspalten. Diesen Dissident:innen ist man mit der geballten Gewalt des Staates begegnet, wie in den Konzentrationslagern, Reservaten und Internaten, wo sie dafür eingesperrt und getötet wurden, die Ordnung übertreten zu haben. Und in der gesamten kolonialen Welt, in der alle anderen Welten gegen Vernichtungs- und Assimilierungsversuche kämpfen.

Gender wird durch die Institution der Familie und des Paares bestimmt. Die Gesellschaft zwingt unsere Intimität in diesen produktiven Rahmen, um die Formierung übergreifender Kompliz:innenschaft zu verhindern. Die Familie wurde innerhalb des anarchistischen Diskurses bereits umfangreich kritisiert, genauso wie die Ehe, aber das Paar hat sich der Kritik weitgehend entzogen und bestimmt und begrenzt weiterhin unsere Formen der Bezugnahme und Affinität.

Das Paar spaltet uns von dem lebendigen Netz aus Beziehungen ab, indem es Fürsorge, materielle und emotionale Unterstützung, Zuneigung und Intimität auf diese Einheit gegenseitiger Abhängigkeit begrenzt. Was wir ‚das Paar‘ nennen, ist nichts als gegenseitige Kontrolle, Verwaltung und Beherrschung. Es ist die Ausweitung der kolonialen Logik von Landprivatisierung und der Objektifizierung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Natürlich kann die Liebe, die wir innerhalb dieses Paares teilen oder geteilt haben nicht darauf reduziert werden, aber die Form selbst dient dazu, freie Liebe und Verlangen einzufangen und in etwas zu verwandeln, das produktiv ist für die Gesellschaft — eine eindeutige Einheit, die leicht zu kontrollieren ist. Das Paar erfüllt die gleiche Aufgabe wie die Ehe, wenn auch nicht rechtlich verankert — erlaubte Flexibilität im kybernetischen Zeitalter. Das Paar nimmt das vereinzelte Subjekt und verschmilzt es mit einem anderen, um es zu einer einzelnen vereinzelten Einheit mit zwei Gesichtern zu verschmelzen. Unser Selbstwert, der untrennbar mit unserem geschlechtlichen Erfolg verbunden ist, hängt davon ab, wie begehrenswert wir sind — unser Wert wird dadurch bestimmt, wie gut wir uns zu einer Einheit formen.

Die Erzählung des Paares vermittelt uns, dass ein anderes Wesen uns vollständig machen kann, ganz machen kann, was unvollständig ist. Es ist in der femininen privaten Sphäre des Heimes verankert und stellt die Suche nach Unterstützung oder Intimität außerhalb dieser Einheit als beschämenden Verrat dar. Sobald der Vertrag der Paarbeziehung abgeschlossen ist, wird die Beziehung zu einer privaten Angelegenheit, die chirurgisch von den Freundschaften, in die sie einst eingebettet war, getrennt und von der Kritik ausgenommen ist, die wir sonst an unseren geteilten Leben üben.

Ein Prüfstein für Beziehungen: Kannst du eine schädliche Dynamik oder ein Muster zerstören, ohne deine Freundschaft zu zerstören? Kannst du Schluss machen mit einer bestimmten Art zu sein und sich aufeinander zu beziehen, die nicht gut für dich ist und befreundet bleiben, verwandelt und neu? Wenn diese zwei Dinge untrennbar sind, wenn eine Sache töten bedeutet, dass die andere mit ihr stirbt, dann befindest du dich wahrscheinlich in einer Paarbeziehung.

Viele von uns haben Freundinnen an Paare verloren, wurden in dem Moment an die Seite gedrängt, als die Standardordnung der Dinge möglich wurde. Dieser Betrug wird im Allgemeinen nicht als bedeutend erachtet, wenn er überhaupt anerkannt wird. Wie viele von uns sind in eine Nebenrolle zu den romantischen Hauptdarstellern gedrängt worden, haben sich wie ein seltsamer Eingriff in das Drehbuch gefühlt, als peinlicher, verzweifelter Versuch relevant zu sein? Es wird von uns erwartet, die Freundschaftsbande abzulegen und wiederaufzunehmen, je nach den Launen des Paares — ihren Konflikten, Trennungen und Versöhnungen. Da ich mich gegen meine Umbesetzung von Vertraute:r zu gelegentlichem Kaffeedate wehre, wird deutlich, dass meine Gefühle bezüglich des Umgangs der Partner:innen untereinander, der Entscheidungen, die sie innerhalb der Paareinheit treffen, unerwünscht sind. Nicht meine Angelegenheit. Wir haben so viel Missbrauch bei Paaren gesehen, der in traumatischen Trennungen gipfelte, die ganze Freundeskreise und größere Szenen entzweiten, weil man nicht in der Lage war, die Dynamik und das Verhalten inner — halb der Paareinheit auf kollektive Weise kritisch zu betrachten.

Von früh auf wird uns mit Disney die Geschichte romantischer Liebe gefüttert, Volksmärchen über Feen, die Verwüstung anrichten, wurden zu Geschichten von Helden, die Prinzessinnen retten und immer in einer Hochzeit oder wenigstens einem großen, heterosexuellen Kuss enden. Wir denken, dass es aufschlussreich ist, sich die Etymologie von Romanze anzusehen:„eine Geschichte, geschrieben oder rezitiert, von den Abenteuern eines Ritters, Helden, etc., häufig prinzipiell der Unterhaltung dienend“, aus dem Altfranzösischen.

Die soziale Rolle romantischer Liebe ist insofern mit der des Spektakels vergleichbar, als sie eine süchtig machende Technologie bereitstellt, die der Macht zwischen einem Netzwerk aus Körper-Bildflächen dient. Sie kann als die intime Manifestation des Spektakels gesehen werden, die Verflachung eines anderen einzigartigen Seins zu einer Projektionsfläche. Wenn du jemanden als deine zweite Hälfte betrachtest, nimmst du die Person nicht wirklich wahr.

Wir finden, dass die folgende Passage, übersetzt in „The Local Kids“, eine schöne Unterscheidung zwischen freier Liebe und dem Schema romantischer Liebe macht:

Ich werde nicht immer hier sein, ich werde dich vielleicht nicht immer genau so lieben wie du es dir wünscht. Du wirst nicht alles für mich sein und ich werde nicht alles für dich sein. Aber ich habe genug Vertrauen in dich, um zu wissen, dass du mir immer am Herzen liegen wirst, weil du wunderbar einzigartig und unersetzbar bist. Ein Leben ohne dich wäre nicht unmöglich, es wäre schrecklich leerer und grauer. Genauso wie ein Leben immer und nur mit dir grausam für mich wäre. Aber es gibt ein instabiles Gleichgewicht zwischen unserem Versprechen, diesem Hauch von Unendlichkeit und unserem Verlangen nach etwas anderem und Freiheit, dieses Gleichgewicht ist unser Verlangen uns zu lieben.

Anarchist:innen machen sich gerne vor, den Fängen des Paares zu entgehen, indem sie seine Logik ausweiten — Polyamorie wird für freie Liebe gehalten. Wir sind anderer Meinung. Dieser Rahmen lässt die Form des Paares intakt und kreiert eine ganze Ökonomie der Energie und Zuneigung, um sie zu verwalten. Polyamorie ist neoliberale Monogamie. Zahllose neubenannte Modelle sind entstanden, in dem verzweifelten Versuch, die Logik der intimen Kontrolle auf den queeren Markt zu übertragen, indem suggeriert wird, dass wir durch die Ausweitung der Sphären von Kontrolle und Beherrschung endlich Befreiung finden können. Die „vorrangigen Partner“ mit ihren „Nachgestellten“ sind eine einfach zu kritisierende Hierarchie, aber die fundamentale Logik der Polyamorie ist, dass wir alle eine endliche Menge an Energie (z.B. Liebe) besitzen, deren Verteilung innerhalb der jeweiligen Paareinheiten ausgehandelt werden muss. Wir sind alle Manager:innen in der Genossenschaft der Liebe! Der Gedanke, dass auf die Eifersucht einer anderen Person reagiert werden kann, indem ich meine Beziehung zu jemand anderem gestalte, ist eine bequeme Art, die Konfrontation mit der Angst vor dem Tod und dem Verlassenwerden zu vermeiden, mit der wir alle aufgrund der künstlichen Verknappung und der sehr realen Isolierung innerhalb der Gesellschaft zu kämpfen haben.

Eine andere reaktionäre Position — die der ermächtigten Schlampe, einer einzelnen, selbstgenügsamen Einheit, die an Dating oder Cruising teilnimmt, verfehlt es ebenso die Organisation der herrschenden Gesellschaft in Frage zu stellen. Das Datingparadigma akzeptiert, nur mit Menschen zu ficken, die einem eigentlich egal sind, denen man weder Respekt noch Vertrauen entgegenbringt. Hier kommt es darauf an, den zugrundeliegenden Impuls zu unterscheiden — das Verlangen danach, dich mit Menschen außerhalb deines Kreises zu verbinden, Zärtlichkeit mit ihnen zu teilen, um deine Welt zu erweitern und zu verändern, oder das Verlangen nach einer Trennung zwischen Freund:innen und Liebhaber:innen, um keine Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen zu müssen. Die Praxis des ‚nicht-innerhalb-der-Szene-Datens‘ kann besonders hässlich sein, wenn sie dazu dient, die Menschen mit denen du schläfst von den Menschen, deren Meinung dir wichtig ist zu trennen und so davon abzuhalten Kritik an deinem Handeln mit jemandem zu teilen. Während sie als eine Strategie vorgeschlagen wurde, um die desaströsen sozialen Konsequenzen von Trennungen zu vermeiden, die gemeinsames Potenzial sabotieren, befürwortet diese Praxis einen Ansatz nach dem Motto „don’t shit where you eat“. Anders formuliert, man kann Intimpartner:innen und Liebhaber:innen behandeln wie man will, solange sie nicht Teil der eigenen Welt sind

Wir schlagen vor, mit der kollektiven Beseitigung aller Paardynamiken zu beginnen. Es wird als normal angesehen, dass Intimpartner:innen Einfluss auf diejenigen ausüben, mit denen sie Intimität teilen. Dies wird als eine Angelegenheit angesehen, die innerhalb des Paares verhandelt werden sollte, da es die Aufgabe von Partner:innen ist, mit den Gefühlen der anderen umzugehen. Was würde passieren, wenn wir diesen ganzen Rahmen in den Müll werfen würden und gezwungen wären nachzusehen, was dieser Dynamik zugrunde liegt?

Einfach zu sagen „Es ist mir egal mit wem du schläfst, mach was du willst“ ist keine Lösung. Wir sind Teil eines Netzes von Gefährt:innen. Die Menschen, die unsere Freund:innen in ihre Welten holen, haben Auswirkungen auf unsere geteilte Welt. Aber es ist viel schwieriger, chaotischer und vielschichtiger, diese Dynamik aus der Perspektive der Fürsorge für unsere:n Freund:innen, unsere Umwelt und unser gemeinsames Potenzial aus anzugehen, als aus der Perspektive von Kontrolle durch Management und Bürokratie innerhalb eines Paares. Wenn eine Person, die ich liebe, anfängt jemanden zu lieben, der sie schlecht behandelt, ist das absolut meine Angelegenheit, genauso wie die Angelegenheit der Rest unserer Freund:innen. Und es liegt in ihrer Verantwortung, die Auswirkungen zu bedenken, die es mit sich bringt, diese Person in ihr Leben, in unsere Welt, zu bringen. Und genauso ist es unsere Angelegenheit, wenn einer unserer Freund:innen oder Kompliz:innen ihre Intimpartner:innen wie Scheiße behandelt. Wenn wir diese gemeinsame Verantwortung akzeptieren, sind wir gezwungen, uns der zugrunde liegenden Dynamik unserer Entscheidungen zu stellen – der Angst davor unerwünscht zu sein, der Angst vor Veränderung, vor dem Altern, vor Einsamkeit und geschlechtsspezifischen Erwartungen.

Anstatt auftauchende Emotionen wie Eifersucht zu unterdrücken, müssen wir vielmehr anerkennen, dass diese Emotionen nicht im Paar, sondern in uns selbst angesiedelt sind und nur innerhalb unseres Vertrauensnetzes wirklich gelöst werden können.

Das soll natürlich nicht heißen, dass wir unsere Liebe und Zuneigung einer formellen Prüfungskommission unterwerfen sollten. Kommunistische und liberale Ideen von gemeinschaftlicher Rechenschaftspflicht (community accountability), die versuchen den Rahmen von Gerechtigkeit oder Gleichheit auf unsere LiebesFreundschaften anzuwenden, machen uns nicht freier, sondern fügen eher noch eine Schicht Kontrolle und Management zu unseren ohne- hin erstickten Leben hinzu. Wir schlagen nicht vor mehr Aspekte unseres Lebens zu mikroskopieren, wir sagen nicht, dass alle der Revolution wegen miteinander auskommen müssen. Jede unserer Beziehungen ist unterschiedlich, nicht jede hat dieselbe Intensität oder denselben Platz in unserem Herzen und das ist okay — unsere Beziehungen in eine falsche Homogenität einzuebnen führt nur zu Selbstbetrug.

ngesichts des sozialen Impulses, unsere Beziehungen innerhalb einer Ökonomie der Knappheit zu verstehen und über Sparmaßnahmen zu verhandeln, können wir stattdessen eine anarchistische Vorstellung von sozialer Weite verbreiten. Liebe frei zu geben öffnet unser Herz und unsere Fähigkeit andere zu lieben. Wenn wir immer mit dem in Verbindung sind, was uns umgibt, was ist dann das Paar? Es ist ein Behälter, der etwas Lebendiges, das fließend und in ständiger Veränderung ist, aufnimmt und objektiviert, es einfriert. Das ist auch relevant dafür, wie wir über Anarchie denken – sobald unsere Beziehungen, unsere Liebe und unser Kampf quantifiziert werden, sind wir wandelnde Tote. Unsere Liebe und Zuneigung von den Fesseln des Paares zu befreien, ermöglicht uns eine subversive Kosmologie, die auf einem umfassenden Selbstverständnis basiert.

Jede unserer Beziehungen kann die Form des Paares annehmen, selbst solche, die wir als ‚platonische‘ Freundschaften betrachten. Häufig entstehen sie durch eine Bindung, die mit geteilten Traumata einhergeht und zu einer Isolation in gegenseitiger Abhängigkeit führt. Einige meiner extremsten Paarbeziehungen waren platonische, anarchistische „power couples“, die aus der gemeinsamen Erfahrung des Verrats, des Todes eine:r Freund:in und der Einsperrung entstanden sind. Und in jedem dieser Fälle kam es zum Bruch, da die Beziehungsmuster zu toxisch wurden, um geheilt zu werden. Indem wir die Form in ihrer Gesamtheit kritisieren, hoffen wir die einfachen falschen Lösungen zu vermeiden, die darin bestehen bestimmte besonders toxische Beziehungen zum Sündenbock zu machen und andere davon auszunehmen. Wenn wir ein Verständnis dafür entwickeln, auf welche Weise diese Form unser Leben kontrolliert, können wir die Elemente des Paares, die sich in unsere Beziehungen einschleichen, immer wieder ausfindig machen und loslassen und Elemente der freien Liebe und der gegenseitigen Hingabe aufbauen.

Wenn man zum ersten mal mit einer Anti-Paar-Ethik in Kontakt kommt oder damit experimentiert, ist es ein naheliegender Impuls, sie auf die eigenen aktuellen romantischen Partnerschaften zu beziehen. Dieser Impuls macht Sinn, da alle, die die hier erörterten Ansichten teilen, vermutlich bereits große Anstrengungen unternommen haben, ihre Liebe von Hierarchie und Kontrolle zu befreien. Wir haben alle gespürt und erfahren, wie falsch die Dinge laufen, sei es nur auf einer intuitiven Ebene. Wie wir dem in der Praxis begegnen wollen, müssen wir erst noch herausfinden. Wenn diese Ideen einfach als Alternative zu romantischen Partnerschaften gesehen werden, lassen wir das Wichtigste außer Acht und riskieren den Einfluss des Paares auf unsere Liebesbeziehungen zu vertuschen, wir befördern die Verleugnung mit neuen Begrifflichkeiten. Damit unser Ansatz funktioniert, braucht es Verbindlichkeit und Engagement all unseren Freund:innen und uns selbst, nicht nur unseren Intimpartner:innen gegenüber. Es abzulehnen, dem Paar zu erlauben, seine Fesseln um dein Leben zu legen, bedeutet abzulehnen, die Beziehungen zu Menschen mit denen du Sex hast oder in die du dich verliebst aus dem Netz von Freund:innen und Gefährt:innen herauszulösen; es bedeutet eine Hingabe an die einzigartigen Gefühle und Vertrauen in jede einzelne unserer Beziehungen.

Umgekehrt sollten wir vorsichtig damit sein, neue Lieben automatisch in eine Szene oder Crew zu integrieren. Die Formen von Vertrauen, die mit körperlicher Intimität einhergehen und solche anarchistischer Gefährt:innen sind einzigartig und müssen zu ihren eigenen Bedingungen kultiviert und wertgeschätzt werden.

Ich experimentiere seit mehreren Jahren mit diesem Rahmen. In gewisser Weise hat sich nichts geändert – ich wurde in eine zutiefst abhängige und in manchen Momenten missbräuchliche Beziehung hineingesogen, in der eine geliebte Person ihre Liebe zu mir in eine Fixierung verwandelte, die sie die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit vermeiden ließ. Im Gegenzug wurde meine Liebe angesichts der Fallen, gegen die so vehement gepredigt und in die doch kontinuierlich getappt wurde, zu Verbitterung. Ich hatte das schon einmal durchgemacht, es war eine alte, schmerzhafte Geschichte. Andererseits änderte sich alles — ich hatte eine klare Vorstellung davon, was ich in unserer Freundschaft wollte, die keine der Ausnahmen von unseren gemeinsamen Werten der individuellen und kollektiven Freiheit und der Herrschaftsfreiheit machte, die normalerweise im Kontext von Paaren gemacht werden. Wenn unsere Freundschaft von diesen Werten abwich, war ich in der Lage, das zu erkennen und zu intervenieren und sei es nur, indem ich mich weigerte, mich darauf einzulassen, etwas, was innerhalb des Paares oft unmöglich ist. Wenn meine eigene Verletzung in Groll umschlug, war ich in der Lage, mir selbst bewusst zu sein und meine Handlungen kritisch zu betrachten, mich zu entschuldigen, wenn ich das Gefühl hatte, falsch gehandelt zu haben. Ich konnte Verhaltensweisen ändern, die nicht meinen Prinzipien entsprachen, anstatt mein Verhalten damit zu rechtfertigen, wie andere mich behandelten. Ich war in der Lage, Schaden zu erkennen, ohne ihn als Teil des Verliebtseins zu normalisieren. Und als ich auf tragische Weise spürte, dass die Angst davor verlassen zu werden, letztendlich die Liebe in den Schatten stellte, war ich in der Lage zu gehen. Anstatt unter der Last eines Ultimatums zu leben — entweder zusammen oder getrennt zu sein; anstatt die Angst vor dem Verlassenwerden zu verinnerlichen und die Heilung zu meiner Verantwortung zu machen, indem ich mich für das Leiden eines anderen verantwortlich mache, war ich in der Lage der geliebten Person und unseren Freund:innen genug zu vertrauen, um zu gehen. Ich war in der Lage, meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche unabhängig von denen anderer zu sehen und nach ihnen zu handeln.

Ein Ritual, anstelle einer Trennung: Entzünde gemeinsam mit einer geliebten Person eine Art von Feuer, eine Kerze genügt. Denkt gemeinsam an alle Ausprägungen eurer Beziehung, die formellen, hierarchischen, verwaltenden Charakter haben. Zählt euch gegenseitig die Bestandteile eurer Freundschaft auf, die euch nicht nützen: Kontrolle, Eifersucht, Wettbewerb. Schreibt sie auf und verbrennt sie. Denkt an die Aspekte eurer Liebe, die ihr nähren und vermehren wollt: Wildheit, Verwundbarkeit, Mut. Stellt sie euch wie Sauerstoff vor, der eure Flamme nährt, der ihr erlaubt noch heller zu brennen. Kehrt zu diesem Ritual zurück sooft ihr es braucht, nicht nur in Krisen, sondern als eine Möglichkeit, euch in euren Intentionen nicht beirren zu lassen.

Das Paar wird oft durch explizite Vereinbarungen (Verträge) etabliert oder durch Restriktion von Intimität, durch Sex, impliziert. Sex ist die Institution, die unsere erotischen Energien, unsere Körperlichkeit vereinnahmt und sie in eine symbolische Ordnung verschlüsselt, eine Sprache, die auf Vorschriften und Tauschhandel basiert. 1975 schrieb Silvia Federici in „Warum Sexualität Arbeit ist“:

Jede aufrichtige Kommunikation hat eine sexuelle Komponente, weil unsere Körper und Emotionen untrennbar voneinander sind und wir auf allen Ebenen gleichzeitig kommunizieren. Dies hat uns einen schizophrenen Zustand auferlegt, da wir früh in unseren Leben lernen mussten zwischen den Menschen, die wir lieben können und solchen, mit denen wir nur sprechen, Menschen, denen wir unseren Körper öffnen und solchen, denen wir nur unsere Seele öffnen, unseren Freunden und unseren Liebhaberinnen zu unterscheiden.

Wir müssen diese Grenze zwischen Körper und Geist, die grundlegende Lüge der Rationalität zerstören, um unsere Sinnlichkeit von dieser Ordnung zu befreien. Wenn wir Sex ablehnen, können wir entdecken, was möglich wird, wenn wir unsere erotischen Energien als Formen der Empfindung und Kommunikation betrachten. Dadurch wird die Fetischisierung von Sex als wesentlicher Bestandteil der Befreiung vermieden, was zu radikalen Sex-Kulten führen kann, wie Elemente des Weather Undergrounds in den 70er Jahren gezeigt haben. Unsere Erfahrungen mit Sexarbeit enthüllen mit erschreckender Klarheit die Übernahme von erotischen Gesten in die Tauschlogik. Diese Gesten dienen in diesem expliziten Transaktionskontext dazu, unsere Atomisierung zu verfestigen und die Distanz zwischen uns zu zementieren. Während ich meinen Körper mit eine:r Freund:in teile, gibt es für eine außenstehende Beobachterin keinen Unterschied zu dem, was ich mit einem Freier tue. Aber diese Geste ist nicht wie die andere, sie ist ein körperliches Wagnis, eine Vertrauensprobe, ein Tanzschritt, der unser stabiles Selbstgefühl auflöst.

Wir möchten aus „To Destroy Sexuality“ zitieren, das in den 1970er Jahren anonym bei der Publikation „3 Million Perverts“ einging:

Wir wollen grundlegende Empfindungen wiederentdecken, wie die Freude am Atmen, die durch die Kräfte der Unterdrückung und der Umweltverschmutzung erstickt wurde oder die Freude am Essen und Verdauen, die durch den Rhythmus der Rentabilität und Ersatznahrung unterbrochen wurde, oder die Freude am Scheißen und an der Sodomie, die durch die Meinung des kapitalistischen Establishments über den Schließmuskel systematisch angegriffen wurde.

Das Establishment schreibt dem Fleisch seine Grundprinzipien ein: die Machtlinien der Ausbeutung, die Neurose der Akkumulation, die Mystik des Besitzes und des Anstands und so weiter. Wir wollen das Vergnügen wiederentdecken, uns lustvoll zu schütteln, ohne Scham, nicht aus Not oder als Kompensation, sondern aus reiner Freude am Schütteln. Wir wollen die Freude am Vibrieren, Summen, Sprechen, Gehen, Bewegen, Ausdrücken, Toben, Singen wiederentdecken – auf alle möglichen Arten Freude an unserem Körper finden. Wir wollen die Lust an der Erzeugung von Vergnügen und an der Erschaffung von Vergnügen wiederentdecken, die zuvor durch das Bildungssystem rücksichtslos in eine Zwangsjacke gesteckt wurde, um gehorsame Arbeiter-Konsumenten zu produzieren.

Wir wollen die Geschlechtertrennung abschaffen. Wir wollen uns von den Kategorien Mann und Frau, Homo und Hetero, Besitzerin und Besessener großartig und gering, Herrin und Sklave befreien. Wir wollen stattdessen transsexuelle, autonome, mobile und multiple Menschen mit vielfältigen Unterschieden sein, die Wünsche, Befriedigungen, Ekstasen und zärtliche Emotionen austauschen können, ohne auf Bewertungstabellen oder Machtstrukturen zurückgreifen zu müssen, die nicht bereits in den Spielregeln verankert sind.

Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, wie sich Geschlechts- und Sexualnormen auf die Anarchie auswirken und sie entfremden. Die aufständische Tradition rät uns, Spezialisierung zugunsten von sozialer Vernetzung und Ausbreitung abzulehnen. Die Rolle der Militanten ist die der Soldat:innen – Spezialist:innen für den Krieg. Die anarchistische Tendenz, Militanz zu fetischisieren und stoische Machokulturen zu fördern, macht es notwendig auch das Gegenteil davon aufzugeben — das Zuhause und dessen Bereich der feminisierten Emotionalität. Um dieses binäre System zu überwinden, schlagen wir eine Krieger:innenethik vor. Eine Krieger:innenethik bezieht die spirituelle Dimension von Konflikten mit ein und legt Wert auf gemeinsame Rituale, die uns sowohl darauf vorbereiten, ein tödliches Risiko einzugehen, als auch darauf, wieder in die Arme unserer Freund:innen zurückzukehren. Sie ermöglicht eine ganzheitliche Vision des Kampfes zwischen Heiler:innen, Herdwächter:innen, Geschichtenerzähler:innen und Kämpfer:innen — wir können fließend zwischen diesen kämpferischen Rollen wechseln, wenn sich Umstände und Bedürfnisse ändern, denn sie sind alle notwendig, um in den Ruinen dieser Welt neue Welten zu erschaffen. Wir wollen nicht als Soldat:innen unter der schwarzen Flagge auftreten.

Wenn unser Nervensystem permanent auf Bedrohungen reagiert, wird es taub für Empfindungen. Dies führt zu den Symptomen, die wir als Reaktion auf Traumata kennen – Übererregung, Taubheit, Schlaflosigkeit, Dissoziation, Depression. So werden Männer in Bezug auf die Bewältigung von Konflikten mit Stoizismus oder „Hartsein“ sozialisiert. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Verklärung der Traumareaktion des „Einfrierens“. Um unsere Techniken der Kriegsführung zu verfeinern, sollten wir heilende Methoden entwickeln, die uns helfen, uns unsere Sinne wieder anzueignen. Wir sollten lernen, unsere Rüstung abzulegen, wenn wir nicht unmittelbar in Gefahr sind, und wir sollten lernen, Traumata zu lösen, anstatt sie endlos aufzustauen. Wir sollten uns unserer Emotionen bewusst sein und uns für Verbundenheit als eine Lebenskraft im Kampf öffnen.

Bezugsgruppen oder Crews können auch zu einer Art Kleinfamilie oder zu einer Gruppe von Paaren werden. Manche Projekte sind zwar nur mit den wenigen möglich, denen wir voll und ganz vertrauen, aber nicht jedes Projekt erfordert diese Standards. So können wir auch außerhalb des üblichen Kontexts Komplizenenschaft entwickeln und mit der Zeit Vertrauen mit neuen Menschen aufbauen. Wenn unsere Gruppe, wie das Ehepaar oder die Familie, alles ist, was wir haben, muss sie alle unsere Bedürfnisse erfüllen. Da unser gesamtes Handlungspotenzial vom Erhalt dieser Gruppe abhängt, leben wir im Schatten ihres drohenden Zusammenbruchs. Unser gemeinsames Leben gerät dadurch unter Druck, was ein fruchtbarer Boden für die Herausbildung von Normen, von Disziplin durch Kontrolle und von informellen Hierarchien ist. Konflikte und der notwendige Raum, um sie auf gesunde Weise zu bearbeiten, werden als Bedrohung für das kollektive Überleben oder als Hindernis für unsere Fähigkeit gemeinsam zu handeln angesehen, anstatt als notwendige und wünschenswerte Quelle für Wachstum und Veränderung. Aus Angst vor der Auflösung der Crew wenden wir uns „dem Paar“ zu, damit wir nicht allein dastehen, wenn es zum Bruch kommt

Ich versuche mich diesem Muster zu entziehen, indem ich die Gruppenbildung eher informell angehe, fließend und kontextspezifisch, und nicht dauerhaft und formal wie eine Zelle. Wir können für ein bestimmtes Projekt eine Affinitätsgruppe bilden, die wir nach Abschluss des Projekts auflösen. So können aus diesen Erfahrungen neue Konstellationen der Affinität entstehen. Unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten innerhalb vieler einzigartiger Beziehungen, die sich je nach den Erfordernissen der Projekte ändern können, ohne stabile Grenzen von innen und außen, ermöglichen es uns, eher in einem Netz als in einer einheitlichen Gruppe zu handeln.

Wir wollen auch nicht das Familienmodell des Patriarchen und seiner Anhänger:innen reproduzieren, indem wir einflussreiche männliche Theoretiker und starke Persönlichkeiten in den Rang von Verehrung erheben, wie wir es in vielen Zusammenhängen sehen, von Bonanno bis zu weniger öffentlichen Dynamiken innerhalb jedes Milieus.

Es kann beängstigender sein, sich den eigenen Dämonen zu stellen, als die Bullen zu konfrontieren – die Auseinandersetzung mit dem, wozu wir gemacht wurden, mit dem Gift, das uns diese Gesellschaft eingetrichtert hat, erfordert Mut. Wenn ich beispielsweise eifersüchtig auf eine Person bin, mit der ich Intimität teile, weil sie eine andere Person begehrt und ich diese Gefühle nicht in meiner Beziehung zu dieser Person festmache, kann ich diese Gefühle als etwas erkennen, das seinen Ursprung in meiner eigenen Erfahrung hat. So kann ich erkennen, dass meine Eifersucht nur die Maske meiner eigenen Verlustangst ist. Ich kann darüber nachdenken, woher diese Angst kommt – eine Freundin wurde getötet, meine große Liebe hat mich verlassen – und kann dann gemeinsam mit meinen Freunden um diese Verluste trauern. Erst dann kann ich es vermeiden, mit diesem Gefühl eine Dynamik der Kontrolle und vertieften Exklusivität in Bezug auf die Person zu schaffen, mit der ich Intimität teile. Ohne diese Voraussetzungen, ohne diese Möglichkeit, bliebe ich in meiner Angst und meinem Kummer stecken und würde sie weiterhin auf die Menschen projizieren, die ich liebe.

Mich meinem Trauma zu stellen und die Abhängigkeiten abzulehnen, die es mir ermöglichen, es zu ignorieren – wie etwa das Paar-sein – ist nur der erste Schritt zur Heilung, aber es ist ein riesiger, furchterregender Schritt, vor dem die meisten Menschen zeitlebens fliehen. Nur durch die Auseinandersetzung mit diesem Trauma, einem lebenslangen Prozess, kann ich die Angst überwinden, die mich dazu bringt, das Paar oder ein Kind zu brauchen, jemanden, den ich kontrollieren kann. Das Leben in dieser Welt ist sowieso ein ständiges Trauma, das stets das verschlimmert und verstärkt, wogegen wir so hart kämpfen, um es zu klären und zu ändern. So stecken wir unsere Freundschaften, unsere Liebe, weiterhin in den den Käfig des Paares. Wir werden weiterhin unsere Angst auf diejenigen projizieren, die uns am nächsten sind. Das Ringen um die Befreiung unserer Beziehungen aus diesem Käfig wird aber nur die anarchistische Spannung stärken.

Eine Freundin hat es in ihrer Antwort auf diesen Text wunderschön formuliert:

In letzter Zeit denke ich wie ein:e Bandit:in über Intimität nach. Wie ein:e Hacker:in oder ein:e Plünder:in. Ich weiß, dass ich gegenseitige Zuwendung brauche, um weiter zu kämpfen. In diesen Zeiten hole ich sie mir, wo ich sie finden kann. Ich klammere mich an diese flüchtigen Intimitäten, auch wenn sie mir durch die Finger gleiten. Irgendetwas zusammenflicken, das machbar ist, etwas Lebensfähiges, etwas, das zum Weitermachen reicht. Lernen, in diesen Räumen der Widersprüchlichkeit und Unvollkommenheit zu leben. Ich glaube nicht, dass man sich selbst heilen muss, um die Welt zu heilen, oder so. Du musst dich nur selbst so weit am Laufen halten, dass du weiterhin Dinge abfackeln kannst. Wer weiß, was für seltsame und wunderbare Beziehungsformen aus diesem Chaos entstehen können…

Wir versuchen, unserer Angst vor dem Verschwinden, der Angst vor der Bedeutungslosigkeit, der Nutzlosigkeit, dem Altern, dem Tod zu entkommen, indem wir uns in Institutionen einschließen, die unsterblich sind – die existieren, um den Kreislauf von Tod und Wiedergeburt aufzuhalten. Alte Frauen wurden bei den Hexenverfolgungen kriminalisiert, weil sie keine Kinder oder kein sexuelles Verlangen mehr erzeugten, d. h. keine Frauen mehr waren. Also fürchten wir uns auch davor, was passiert, wenn wir nicht mehr produktiv für die Gesellschaft sind: Welcher Repression werden wir ausgesetzt sein, wenn wir nicht mehr jung und sexy genug sind, um in anarchistischen Personenkulten als relevant angesehen zu werden? Was passiert, wenn wir als Niemandes Geliebte, Niemandes Mutter, Niemandes Kind sterben? Was ist, wenn wir uns von niemandem vereinnahmen lassen?

Hinter dieser Angst steht die Vorstellung, dass einige unserer Freund:innen, unserer Gefährt:innen uns irgendwann verlassen und verraten werden. Dass sie unseren gemeinsamen Kampf hinter sich lassen oder uns durch Gefängnis oder Tod entrissen werden. Das stimmt vielleicht, aber wir müssen lernen, diesen Verlust zu betrauern, anstatt zu versuchen, vor ihm davonzulaufen.

Der Wunsch nach Zugehörigkeit treibt uns in Familien und Paarbeziehungen. Es ist genau dieses Verlangen, das Nationalismus, Religionen, Gangs, die Massengesellschaft und andere autoritäre Kulte nutzen. In dem Glauben, dass wir ohne diese Mitgliedschaften nicht existieren, schließen wir unsere freien Beziehungen in Institutionen ein, die, wie das Kapital, die Gefängnisse und die Ware, den Tod zu überwinden versuchen.

Aus Sexxxual Luddites: Amatory Ethic of Liberatory Desire for a Free and Joyful Affect:

m Zwinger neben dem Haus heulen die Hunde die ganze Nacht und den ganzen Morgen. Es ist diese Vorstellung von Schutz, von Wohlbefinden, von Fürsorge, die wir ablehnen. Ungeschützt durch die Straße zu laufen ist besser als in einem Käfig der guten Absichten zu schlafen.

Wir laden dich dazu ein, für diese Visualisierung die Augen zu schließen:

Du bist ein:e Wölf:in, du liegst in einem Käfig, der nur zweimal deine Körpergröße misst, unter dem grellen Schein von Kunststofflampen, die immer wieder an- und ausgehen, ein Zerrspiegel von Tag und Nacht. Du bist niemals hungrig, niemals fürchtest du um dein Überleben, betäubt in einem Dunst der Sedierung, während die Uhr an der Wand durch die Tage tickt. Du hörst ein Geräusch, bist nicht sicher, woher es kommt, nicht sicher, ob es in dir oder draußen ist. Ist es ein fernes Donnern? Die Konturen einer Erinnerung, wie sie in einem Moment der Wut aufkommen? Du stehst, aber anstatt auf und ab zu schreiten, wirfst du dein ganzes Gewicht gegen die Tür, und stürzt hinaus auf den sterilen Boden hinab. War sie jemals verschlossen? Du fällst in einen Galopp, rennst aus dem Gebäude hinaus, durch die Straßen, über die Grenzen der Stadt hinaus, und die Wüste breitet sich vor dir aus. Der Mond ist voll. Du heulst.

Stille.

Du heulst wieder, lauter, und denkst nicht einmal daran, deine sich plagenden Glieder zu verlangsamen, du genießt das Gefühl der kalten Luft auf deinem Fell. Du hörst einen Ruf als Antwort, und dein vereinzeltes Heulen wird zu einem komplexen Geflecht aus Stimmen, einem Lied. Du rennst zu den anderen Wölf:innen und verschmilzt in einem Tanz der Körper, Spiel, Kampf, Ruhen. Das Ticken der Uhr bereitet dir später Alpträume, dein Herz schläft zusammen mit dem Kommen und Gehen des Mondes. Ihr heult zusammen, damit es andere hören. Um sie wissen zu lassen, dass es einen Ort gibt.

Unser Rudel belagert die Stadt, die uns zurückerobern will, zerschlägt Käfige, reißt den Labortechnikern die Kehlen heraus, versucht, die verfluchte Uhr von der Wand zu reißen und scheitert. Manche deiner Nächsten sterben durch die Gewehre der Jäger:innen. Andere schließen sich an, manche gehen in die Sicherheit ihrer Käfige zurück. Diejenigen, die niemals zurückkehren werden, lecken sich gegenseitig die Wunden. Eines Nachts entscheidest du dich zu gehen und alleine umherzuschweifen. Die Einsamkeit, die du jetzt gewählt hast, ist nicht vergleichbar mit der Isolation im Käfig, die hast du seit Ewigkeiten zurückgelassen. Du weißt, du kannst immer zu deinen Nächsten zurückkommen, verändert, anders. Du erklimmst eine Düne und nimmst die Weite des Sternenhimmels in dich auf – dein Herz füllt sich mit der unermesslichen Schönheit der Wüste und deiner Geringfügigkeit in ihr. Du füllst deine Lungen und stößt einen Schrei aus, der von der Trauer und der Freude deiner Wanderschaft erfüllt ist. Andere antworten.